Das folgende Gespräch stellt den zweiten Teil des Photokulturgesprächs dar. Ein Verweis auf den ersten Teil (für diejenigen, die ihn nicht mehr finden können!) findet sich am Ende des Beitrages.
Präludium
Mittlerweile ist es 16.07 Uhr und die zweite Runde Kaffee steht bereits am Tisch. Viel wurde bis jetzt besprochen – CCD, 20+, und ein klein wenig die gute alte analoge Zeit. Als der Film noch schwarz-weiß war und ein Bild eben noch ein Bild, und nicht die Anhäufung einer Menge von Pixel war.
Der Tschat – Teil Zwei
Verlängerter: Der Kaffee hier ist echt gut, aber du weißt ja, normalerweise kommen mir nur Tee und Frucade am Tisch. Eine gute Kombination übrigens! Neulich habe ich übrigens einen Test gelesen, wo einem weisgemacht wurde, dass die Kamera des ApfelTelefons so gut sei wie eine Einsteigerspiegelreflexkamera. Ich glaub, ich verkaufe meine Kamera also wieder.
Einspänner: Ach, ApfelTelefone? Im Prinzip sind das Blechdosen – zugegeben, sehr flache Blechdosen, die mit einer unsichtbaren Schnur verbunden sind, über die man sich unterhalten kann. Und ein Loch in der Dose ermöglicht es, Bilder zu machen. Also, als moderne Lochkameras haben sie durchaus ihre Daseinsberechtigung. Aber hier geht es doch eigentlich nur um „Apps“. Apps für das, Apps für dies, Apps of field.
Hi, hi – ein kleiner Scherz an dieser Stelle sei mir erlaubt. Also kurz: ApfelTelefone funktionieren, solange du Apps hast!
Also, vielleicht sehe ich hier eine Konkurrenz zu den sogenannten Point-and-Shoot-Cams, aber die meisten Bilder, die mit dem ApfelTelefon entstehen, entstehen mit dem Gedanken: „Jö, das muss ich jetzt für die Nachwelt festhalten.“
Und fast immer folgt laut der Satz: „Jö, voll schön!“ Kein Gedanke wird da an Blende, Verschlusszeit, Tiefenschärfe und gar Komposition verschwendet. Kein Versuch, etwas zu erzählen, Emotionen zu wecken. Nein, du musst gar nichts verkaufen, im Gegenteil – investiere, denn der Werterhalt ist gut. Zumindest bei teuren Profi-Objektiven. Was mich zu ominösen, B&W-Test-Tscharts führt, die uns angeblich sagen können, wie gut unsere Objektive sind. Sie können sogar noch mehr, sie können uns unsere Objektive untereinander vergleichen lassen. Vergleichen mit was denn, bitte schön?
Verlängerter: Also, wenn man sich so auf diversen Foren im Internet umsieht, so möchte man fast meinen, dass die Leute nur noch testen und eigentlich gar nicht mehr fotografieren. Also bitte, was soll denn das… hat denn früher jemand seine analoge Spiegelreflex mit der des Freundes verglichen, wenn beide ungefähr gleich teuer waren? Nein… aber seit man Bilder am Bildschirm ansehen kann und das Bild nach Belieben vergrößern kann, boomt dieser Sport. Jeder vergleicht, verkauft, kauft was Neues, verkauft es wieder, testet wieder, … Ich glaube, viele von diesen Leuten haben noch nie in ihrem Leben ein gutes Bild gemacht. Stellt sich natürlich auch die Frage, was denn überhaupt ein gutes Bild ist.
Jeder vergleicht, verkauft, kauft was Neues, verkauft es wieder, testet wieder, … [Verlängerter]
Einspänner: Ein gutes Foto: In analoger Form natürlich und kaschiert!
Du merkst, ich habe heute einen Lauf, was Comedy angeht, nicht? Zurück zum Ernst. Es muss auslösen. Es muss etwas in uns auslösen, man spricht hier sehr oft von Emotionen. Meistens meint man damit das eine Bild unter tausenden, die man gemacht hat, das trotz Unschärfe und Unterbelichtung, ja, auslöst eben. Aber so etwas ist, obwohl man sich vielleicht vorher Gedanken über gewisse technische Aspekte gemacht hat, schwer zu wiederholen. Die meisten Bilder, die man als gut bezeichnet, sind vor allem eins: gut überlegt. Da müssen wir der heutigen digitalen Welt danken, denn sie gab uns die digitale Dunkelkammer. Noch nie war es so einfach, seine Bilder auszuwerten. Ich behaupte einfach mal, sie erlaubt uns sogar, aus einem durchschnittlichen Bild ein Gutes zu machen. RAW’s zeigen uns, was die Kamera sieht – RAW-Converter und Bildbearbeitungprogramme, was wir sehen. Das muss ja nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Verlängerter: Ich glaube eigentlich, dass gerade ein gutes Bild eben nicht planbar ist. Gut überlegt: ja, mag sein, aber viel entsteht in der Kunst aus einem Impuls heraus, und das ist auch in der Fotografie so. Du gehst ins Studio und alles ist geplant, und dann entstand das eine ganz besondere Bild genau in einem Moment, der eben gar nicht eingeplant war. Eben aus der Emotion heraus. Die Interaktion zwischen Sujet und Fotograf ist dabei enorm wichtig. Und diese Interaktion kann geplant sein, muss aber nicht, und ich denke, dass es in 80% der Fälle einfach nicht planbar ist. Ich gebe dir aber recht, dass ein gewisser Plan beim Fotografieren sehr hilfreich sein kann. Aber ich denke auch, das Vorgehen hängt einfach zu stark vom Motiv ab: ist es nun eine Landschaft, Architektur oder eine nackte Person im Studio. Völlig unterschiedliche Themen, die eine völlig unterschiedliche Herangehensweise erfordern. Wobei man hier natürlich die sehr provokative Frage stellen kann, ob eine Landschaftsaufnahme überhaupt Kunst ist. Ein Diskurs, der im Übrigen in der Fotografietheorie derzeit heftigst diskutiert wird.
Einspänner: Natürlich muss man auf eine Situation reagieren, richtig reagieren.
So unterscheidet sich ein guter Fotograf von einem schlechten. Die Landschaftsfotografie wird nie als Kunst angesehen werden. Schließlich wird hier etwas festgehalten, das ohnehin schon da ist – gut, man muss sich ein wenig über seinen Aufnahmeort und die Aufnahmezeit Gedanken machen, na, vielleicht auch noch über Komposition… warte, eigentlich muss man sich sehr viele Gedanken über sehr viele Dinge machen. Liegt es nicht eher in der Natur des Menschen, die Dinge die er erschaffen hat, über all die anderen zu stellen? Die Naturfotografie würden viele als einzigartig schön bezeichnen, aber nie als Kunst. Ein nacktes Tier kann mit einem nackten Menschen nicht konkurrieren, Berge nicht mit einem Hundertwasser. Nicht umsonst sagen viele Landschaftsfotografen: „Als Landschaftsfotograf muss man vor allem eins haben, eine reiche Frau.“ Generell neigen wir Fotografen dazu, uns nur auf wenige Regeln zu beschränken, wenn wir ein Bild machen. Maler und Bildhauer tun das nicht. Wir sollten uns mehr von ihnen abschauen, von ihnen lernen. Es könnte ein Weg sein, damit man jede Art von Fotografie ernst nimmt, ernst im künstlerischen Sinne. Letztendlich kann uns dieser Weg aber eben nur zu einer besseren Art der Fotografie führen. Die Anerkennung in der Kunst wirkt sich nur auf den Preis aus. Wenn man davon leben muss, ist das durchaus wichtig. Aber um deine Frage zu beantworten – ja, Landschaftsfotografie ist Kunst. Ich glaube nicht, dass die Väter der Höhlenmaler damals glaubten, ihre Söhne machen Kunst, oder überhaupt etwas Sinnvolles. Und bevor du fragst – nein, die Frauen haben bestimmt keine Höhlenwände bemalt, sie mussten schließlich die Familie ernähren und waren froh, dass die Männer nicht wieder Blödsinn machen. Zurück zur Kunst – der Kunst, ein Bild zu machen.
Was brauchen wir, um eine Fotografie zu machen? Außer dem Offensichtlichen, wie Gehäuse, digitalem Film und Objektiv. Auf wen können wir die Schuld schieben, wenn es mit unseren Bildern nicht so gut klappt?
Verlängerter: Also, wenn eines meiner Bilder nicht gut ist, sind prinzipiell immer die Anderen schuld. Das macht es mir auch so leicht. Irgendjemand findet sich immer: der Nachbar, der zu laut ist, um mich aufs Fotografieren konzentrieren zu können, der Hund, der bellt, oder eben die Sonne, die nicht im richtigen Winkel zu meinem Hinterkopf steht. Aber auf deine Ausführung zurückzukommen… ja, wir können viel von der Malerei lernen, z.B. die Art, die Dinge zu sehen. Aber ich denke auch, dass sich die Fotografie noch sehr viel mehr emanzipieren muss. Wo bleibt das Selbstbewusstsein, dass das, was wir machen, Kunst ist? Kunst ist doch das, was man als Kunst bezeichnet, oder nicht?
Einspänner: Kunst ist vor allem das, was andere als Kunst bezeichnen. Ich denke, ein berühmter Bildhauer aus Wien, möge er in Frieden ruhen, hat gesagt: „Fotografie ist keine Kunst, sie erschafft nichts.“ Verständliche Sichtweise für jemanden, der nicht in Tausendsteln, sondern in Monaten denkt. Der Weg ist das Ziel, pantha rhei – alles fließt, gut, das bringt die Diskussion nicht unbedingt weiter, so etwas sollte man aber hin und wieder einstreuen, wir haben schließlich Kultur. Mit meiner Schuldfrage wollte ich natürlich nicht den Blick auf die Ausrüstung lenken, sondern auf die Stimmung. Ein verängstigter Mensch macht andere Bilder als ein fröhlicher. Die Stimmung in uns selbst, wenn wir fotografieren, können wir auch etwas lenken. Sie ist sehr wichtig – etwas Musik aus deinem ApfelTelefon, und schon ist eine Stimmung da. Oder man liest etwas… aber egal.
Wenn man sich mit Fotografie auseinandersetzt, Fotografie plant, ist es dann nicht schon Kunst? Egal, wie das Bild wird. Aber du siehst, es führt zur Frage: „Was ist Kunst?“ Viele sagen, die Antwort darauf lautet: „Alles!“ Also auch jegliche Art der Fotografie.
…das bringt die Diskussion nicht unbedingt weiter, so etwas sollte man aber hin und wieder einstreuen, wir haben schließlich Kultur. [Einspänner]
Verlängerter: Also, eines mal gleich vorweg… ich habe kein ApfelTelefon! Also wirklich… aber zurück zur Kunst. Ich glaube, die Diskussion ist genau so alt wie die Kunst selber. Für mich ist Kunst etwas, das Interesse weckt. Wie du schon sagtest, es muss Emotionen hervorrufen. Vielfach wird das durch Provokation erreicht. Also für mich muss Kunst immer auch ein klein wenig (oder auch viel) provozieren. Das kann eine Landschaftsaufnahme aber genauso! Ein nackter Mensch vor der Kamera provoziert natürlich wesentlich schneller als eine Landschaftsaufnahme und zwingt den Betrachter ganz automatisch, sich mit dem Thema zu befassen. Menschen provozieren Menschen: das älteste Thema der Welt!
Einspänner: Die Fotografie ist einfach eine zu junge Kunst. Aber alles ist der Zeit unterworfen, nichts ist von Dauer. Auch Kunst zerfällt, löst sich in ihre Bestandteile auf – was zählt, ist der Geist, der ihr eingehaucht wurde. Sagt nicht ein römisches Sprichwort: „Wen du nicht besiegen kannst, musst du umarmen.“? Also, schlingen wir unsere Arme um die Kunst, damit sie uns nicht weg läuft. Wir können das ja auf eine provozierende Art und Weise machen. Wieso nicht behaupten: „Wir machen Bilder nicht mit den Augen, sondern mit dem Verstand.“?
Verlängerter: Na… heute sind wir aber philosophisch unterwegs, oder? Aber bedenke: „Was bald wird, vergeht auch bald wieder.“ Ich denke, über das Thema Kunst, dem Für und Wider könnten wir heute noch reden, bis uns der Kellner raus wirft. Kunst kann man nun mal nicht in eine Schablone zwängen. Was mich zurückbringt an den Anfang. Tests für Kameras und Objektive – sinnvoll oder totaler Bullshit?
Einspänner: Ja, kommen wir zurück zum Greifbaren, zu den berechenbaren Dingen.
Und da spielt die Ausrüstung eine wichtige Rolle. Natürlich sind Test sinnvoll und nötig, aber die Art dieser Tests – selbst in Fachzeitschriften – ist oft Blödsinn. Beste Objektive, beste Gehäuse und beste Filter werden verglichen, um dann Aussagen zu treffen, die für den Anwender nicht von Belang sind. Ist die Ausrüstung wirklich schuld? Ja, sie ist schuld, zumindest hat sie Mitschuld. Wenn jemand mit einem Stativ fotografiert, das genauso viel kostet wie ein Kilo Käse, dann gehen bei mir die Sicherungen durch. Und wer da drauf noch einen Kugelkopf setzt und nicht einmal weiß, wie man ihn festklemmt, dann läuft dass Fass erst recht über. Oder einen Günstig-Filter an ein sündhaft teures Objektiv setzt, dann ist das bestimmt nicht deshalb, weil sie den Effekt mögen, sondern aus Unwissenheit. Wieso verkauft dir jedes Fachgeschäft einen Filter? Weil sie daran mehr verdienen, als an einem teuren Objektiv oder einem Gehäuse!? Man kann es ihnen ja nicht vorwerfen, manchmal sind Filter wirklich von Nutzen. Also Holzstativ, am besten nur zweiteilig, sperrig und schwer – aber stabil. Stark überdimensionierter Kugelkopf, also große Kugel und sehr große Tragkraft. Für einige Spezialgebiete der Fotografie empfehlen sich Neiger. Kugelköpfe sind aber ziemlich universell einsetzbar. Zudem lässt sich oft mit gebrauchter Ware und durch etwas Recherche eine Menge an Geld sparen. Ein Profi-Teil aus der vorletzten Serie ist noch lange kein Schrott. Man braucht nicht immer das Neueste! Und nicht vergessen – einen guten RAW-Converter, sonst nützt alles andere nichts.
Verlängerter: Ja, aber im Grunde nützt einem die ganze Technik nichts, wenn man keine vernünftigen Ideen hat. Helmut Newton hat die meisten seiner Bilder mit einer sehr billigen Rolleiflex gemacht. Und schau dir heute mal die interessanten Arbeiten rund um die Polaroidprojekte an! Kameras kosten dort teilweise keine 70.- €, und die Ergebnisse, die die Leute damit hinzaubern, sind stimmungsvoll und sehr interessant – sie erwecken Emotionen. Apropos Emotionen: auch Hunger?
Apropos Emotionen: auch Hunger? [Verlängerter]
Einspänner: Herr Ober, einen Altwiener Backhendlsalat bitte, dazu ein Krügerl.
Verlängerter: Machen Sie ein zweites Krügerl daraus und ein Fiakergulasch. Nichts geht über einen guten Gaul! Grins.
TEIL 3 folgt am 16. April 2011!
Über die Autoren:
Herr Verlängerter: Zweifelsohne ein Besessener. Alles, was er macht, macht er mit voller Begeisterung, Einsatz, Überzeugung und rationalen Schlussfolgerungen. Begeistert, aber nicht blind vor Begeisterung. Ein leichter Hang zum Morbiden wird ihm nachgesagt. Mit seinen Äußerungen betritt er oft den schmalen Grat zwischen Akzeptiertem und Verrücktem (oder gar Revolutionärem). Provokation in Wort und Bild gehören bei ihm einfach dazu. Statement: „Das Leben ist schön, wenn man es nur endlich mal genießen könnte!“
Herr Einspänner: Ein Zweifler, nicht an sich selbst, nein. Er zweifelt an den Anderen. Bei ihm stirbt der Zynismus zuletzt. Er ist die Postleitzahl des Dubiosen. Sein Halbwissen ist gefährlich, weil er denkt, es befreit ihn, vor allem von Wissen. Er ist jemand, der glaubt, aus dem Nichts kann man mit einer Eins alles erschaffen. Sehr widersprüchlich ist seine Gedankenwelt. Statement: „Wenn’s nicht kaputt ist, dann repariers nicht!“
Link zu Teil 1