Objektiv betrachtet – ganz subjektiv!

Derzeit treibt mich wieder mal die Frage um, wie ich mittelfristig (oder langfristig?!) mit meinem 35er Objektiv weiter mache. Wie die treuen Leser dieses Blogs ja wissen, ist mein Summicron-M 35 mm zwar ein hervorragendes Objektiv, mit dem Bokeh bin ich aber nicht immer so richtig glücklich. Besonders bei kleinteiliger und sehr feiner Struktur bildet das Objektiv außerhalb der Schärfenebene etwas unruhig ab. Das Bokeh ist für mich tatsächlich wichtiger als die Schärfe des Objektivs. Bereits früher habe ich hier einen Vergleich des Summilux-M 35 mm FLE und des Summicron-M 35 mm gepostet (hier zu finden) – ich war damals der festen Meinung, irgendwann (sobald es die finanzielle Situation zulässt) steige ich auf das Summilux um. Nun gut – dann kam der März 2021! Leica präsentierte mit dem APO-Summicron-M 35 mm ASPH ein Objektiv, das für die Leica M neue Maßstäbe setzen sollte. Knackscharf, Traumbokeh und eine Naheinstellgrenze von 30 cm (für alle M-Objektive galt bisher 70 cm). Es war vollkommen klar, dass ich dieses Teil irgendwann in den Händen halten und spielen wollte. Leider wird das Biest bisher nur in sehr kleinen Stückzahlen gebaut und ist praktisch nicht zu bekommen. In diversen Blogs kann man erst Beiträge und Bilder finden. Die Grundmeinung geht in Richtung „geniale Optik“, aber auch einige kritische Punkte finden sich (u. a. Preis-Leistung). Der Aspekt des Bokehs wurde bisher kaum betrachtet, sodass ich kurzerhand im Leica Forum die Frage gestellt habe, ob den nicht jemand das Summilux und das neue APO zur Hand hat und ein paar Testbilder (speziell für mich) erstellen könnte. Es meldete sich Jonathan aus England bei mir und er setze ein eigenes Forum-Thema auf – hier zu finden. Und Jonathan erlaubte mir die Bilder hier für meinen Blog zu verwenden. Ein großes Dankeschön an Jonathan! Besucht auch gerne mal seine Webseite.

I would like to take this opportunity to thank Jonathan, not only for walking through his garden in England and taking pictures with the two lenses especially for me, but also for allowing me to use these pictures here. Thank you!

Ich möchte in diesem Beitrag speziell das Thema „Bokeh“ bewerten und kommentieren. Völlig klar, dass dies eine sehr subjektive Sichtweise ist und ihr die Dinge eventuell völlig anders bewerten würdet/werdet. Auch klar ist, dass ich diese Bewertung auf Basis einer sehr kleinen Anzahl von Bildern mache – auch hier sind wir also von Objektivität sehr weit entfernt. Alle Bilder wurden übrigens mit der Leica M10-R gemacht.

Ich will mir im folgenden drei Bildserien ansehen. Das erste Bild zeigt immer die Aufnahme mit dem APO bei f/2.0 (also bei voll offener Blende). Das zweite Bild zeigt immer den Output mit Summilux ebenfalls bei f/2.0 – somit haben wir gleiche Bedingungen für beide Objektive. Um auch noch einen Vergleich mit dem Summilux bei voll offener Blende zu zeigen, gibt es das entsprechende Bild (dann jeweils die Nummer 3) bei f/1.4. Und los geht’s…

Bild 1a: APO, f/2.0.
Bild 1b: Summilux, f/2.0.
Bild 1c: Summilux, f/1.4.
Bild 2a: APO, f/2.0.
Bild 2b: Summilux, f/2.0.
Bild 2c: Summilux, f/1.4.
Bild 3a: APO, f/2.0.
Bild 3b: Summilux, f/2.0.
Bild 3c: Summilux, f/1.4.

Was sofort auffällt ist, dass das APO leicht schärfer ist als das Summilux. Der Vorteil ist minimal, aber wahrnehmbar. Was man auch recht gut erkennen kann, ist der etwas höhere (Mikro)Kontrast den das APO generiert. Dies sind sehr kleine Nuancen – gut erkennbar in den Ästen im Hintergrund des ersten Bildes (vergleiche Bild 1a und 1b, jeweils rechte obere Ecke). Blicken wir jetzt aber auf das Bokeh und schauen uns die drei Bilderserien etwas detaillierter an. Auf den ersten Blick sieht das alles sehr ähnlich und für mich auch sehr stimmig aus. Klar generiert eine Blende von f/1.4 ein etwas verwascheneres Bokeh wie f/2.0 – gut sichtbar in der Struktur der Bäume der ersten Bildserie (vergleiche Bild 1a und 1c) – aber der Abstand zwischen APO bei f/2.0 und Summilux bei f/1.4 ist deutlich geringer als gedacht. Sichtbar wird dies zum Beispiel beim grauen Baum vor dem Haus und beim gelben Gartenschlauch der quer durch die Wiese läuft (Bildserie 1). Erkennbar ist das auch bei den Bildern 2a und 2c – schaut euch die vertikalen Holzpflöcke im Hintergrund an. Die Blende f/1.4 erzeugt einen wahrnehmbaren Unterschied zu f/2.0 (aus meiner Sicht sind aber wirklich nur minimale Unterschiede zu erkennen). Aber schaut euch mal Bild 2a und 2b an und richtet euer Auge wieder auf die rechte obere Ecke. Ich nehme diesen Bildteil mal etwas größer raus.

Bild 4a: Ausschnitt APO f/2.0.
Bild 4b: Ausschnitt Summilux f/2.0.

Das Summilux-Bild (4b) ist etwas heller belichtet als die Aufnahme mit dem APO (4a). Was aber trotzdem ins Auge sticht ist, wie weich das APO die Struktur der Bäume abbildet. Extrem auffällig ist dies im rechten Teil des Bildes. Der Unterschied ist für mich hier wirklich eklatant. Sehen wir uns die Aufnahme des Summlilux bei f/1.4 an (Bild 4c).

Bild 4c: Ausschnitt Summilux f/1.4.

Und ich muss sagen dieses Ergebnis überrascht mich vollkommen. Das Bokeh wird plötzlich richtig unruhig, fast schon „hektisch“. Und wenn ich zwischen den drei Ausschnitten wählen müsste, würde meine Wahl eindeutig auf das Bild 4a fallen – also dem APO – obwohl die Aufnahme „nur“ mit f/2.0 entstanden ist.

Machen wir das gleiche Spiel noch einmal mit der Bildserie 1.

Bild 5a: Ausschnitt APO f/2.0.
Bild 5b: Ausschnitt Summilux f/2.0.

Ich denke es ist deutlich ersichtlich, dass das Ergebnis sich praktisch wiederholt. Das APO bildet das Bokeh soviel ruhiger und ausgewogener ab. Die Äste verschwinden praktisch mit dem Himmel und nichts deutet auf Unruhe im Bild hin. Einfach butterweich! Das Summilux neigt auch hier – gerade im Bereich des hellen Hintergrundes – zu Unruhe. Auch die Bäume wirken nicht so weich gezeichnet. Und nun die Aufnahme mit dem Summilux bei f/1.4.

Bild 5c: Ausschnitt Summilux f/1.4.

Und auch hier wieder ein ziemlich eindeutiges Ergebnis. Das Bokeh wirkt unruhig und zu strukturiert (im negativen Sinne). Bei einem Vergleich von Bild 5a (also dem APO bei f/2.0) und Bild 5c (dem Summilux bei f/1.4) fällt auf wie wenig das Summilux bei dieser Aufnahme von der größeren Blendenöffnung profitiert. Wenn ich die Bilder ohne weitere Infos sehen würde, würde ich darauf wetten, dass Bild 5a mit leicht weiter geöffneter Blende fotografiert wurde.

Um das Spiel abzuschließen nun auch noch Bildserie 3 – wenn schon denn schon! Ich habe jetzt bewusst einen Ausschnitt gewählt, der nicht nur von Bäumen dominiert wird.

Bild 6a: Ausschnitt APO f/2.0.
Bild 6b: Ausschnitt Summilux f/2.0.

Der Unterschied ist hier nun nicht mehr so deutlich ersichtlich, wie in den anderen Aufnahmen. Die Bäume sind auch hier vom APO schöner und weicher gezeichnet. Auch die blauen Tonnen wirken etwas ruhiger und auch der kleine Busch vor der Hausmauer verschwindet bei der APO-Aufnahme sanfter mit dem Mauerwerk. In der oberen rechten Ecke erkennt man, dass auch das Fenster beim APO butterweich abgebildet wird. In Summe also auch hier ein kleiner Vorsprung für das APO, aber sicher nicht so eklatant wie bei den anderen Aufnahmen. Was zeigt uns der Blick auf das Bild des Summilux bei f/1.4 (Bild 6c)?

Bild 6c: Ausschnitt Summilux f/1.4.

Für mich ist die Aufnahme des Summilux bei f/1.4 auf Augenhöhe mit dem APO bei f/2.0. Unterschiede sind fast nicht auszumachen, bis auf die Unruhe in sehr feinen Strukturen (zum Nachteil des Summilux).

Schlussfolgerung:

Für mich ergeben sich daraus ein paar Erkenntnisse die durchaus überraschend (zumindest für mich!) sind:

  • Ohne jeden Zweifel sind Leica Summilux-M 35 mm FLE und APO-Summicron-M 35 mm hervorragende Objektive und die Diskussion und Kritik verläuft hier auf einem sehr hohem Niveau.
  • Die Schärfe des APO ist beeindruckend und übersteigt das Summilux deutlich.
  • Bei homogenen Strukturen zeichnen beide Objektive ein ähnlich schönes Bokeh.
  • Bei strukturierten Oberflächen (Bäume, Zäune, Gräser) spielt das APO beim Bokeh in einer ganz anderen Liga. Da liegen (nach meinen wenigen Erfahrungen) tatsächlich Welten dazwischen. Extrem auffällig wird dies bei sehr feinen Strukturen.
  • Das Summilux kann durch die größere Offenblende von f/1.4 hinsichtlich Bokeh kaum punkten. Ich hätte erwartet, dass der Hintergrund deutlich „verwaschener“ und die Bilder des Summilux damit plastischer wirken – dem ist aber nicht so. In manchen Teilen ist es sogar genau umgekehrt: die Aufnahmen des APO wirken plastischer und deutlich ausgewogener. Das ist sehr überraschend für mich!

Für mich hat das APO auf ganzer Linie gewonnen: Schärfe, Abbildungscharakteristik und Bokeh. Auf Basis der wenigen Bildern, konnte ich keinen Bereich entdecken, in dem das Summilux die Nase vorne gehabt hätte. Einziger Nachteil des APO: der Preis. Wir sprechen hier von einem Objektiv das (Stand Juni 2021) 7.300.-€ kostet. Das Summilux kostet 5.000.-€. Es muss wohl jeder für sich entscheiden, ob man bereit ist 2.300.-€ mehr zu bezahlen, um dann diese phantastische Abbildungsleistung sein Eigen nennen zu können. Eine Antwort auf diese Frage habe ich für mich auch noch nicht gefunden! Und einen Aspekt und Vorteil des APO habe ich bisher noch gar nicht angesprochen: die Naheinstellgrenze von 30 cm sollte ganz neue und bisher unbekannte Gestaltungsmöglichkeiten für einen M-Fotografen bieten. Bin jedenfalls auf weitere Erfahrungen und Reviews gespannt…

Euer Alex

2 Gedanken zu „Objektiv betrachtet – ganz subjektiv!

  1. Rob

    Bevor ich los lege wollte ich daran erinnern:
    „Im Humor liegt die Wahrheit!“

    Das APO hat gewonnen!
    Also mir gefällts, ich finds toll.
    Wenn man den Gebrauchtpreis eines CRON’s abzieht sind wir schon beim Preis eines Summilux!
    Cron verkaufen und dann das APO bestellen und warten, und noch ein bisschen länger warten bis es da ist.

    Langsam wächst der Baum, Ring für Ring.

    Aber so einfach ist das nich, oder?
    Gabs nicht schon ein 35er von Leica das King of Bokeh genannt wurde?
    Ein Kanadier, ein Summicron-M 2.0/35mm IV?
    Oh, ist kein Lux – schon wieder ein Cron, Mist.
    Und ich will mich hier nicht lustig machen, ich habs eben erst bei meiner Wahnsinnsrecherche herausgefunden.
    So etwas würde dich nicht reizen?
    Die alten Legenden?
    Die werden wahrscheinlich digital enttäuschen, nehme ich an.

    Ich denke du hast das CRON schon verloren.
    Mir kommt vor die unruhige Hintergrundunschärfe sticht dir bei jedem Bild sofort ins Auge.
    Dein eigener Test hat ja gezeigt wie, ja ich sags, häßlich manchmal das CRON sein kann.

    Also such‘ mal schön ein neues zu Hause für das Schätzen und besorge dir dann ein LUX, ist überall lagernd.

    Langsam bewegt man sich von Objektiv zu Objektiv.

    Vom LUX kannst du dich nach einigen Jahren auch wieder trennen, du holst dir dann ein überall lagerndes APO.
    Und Preisunterschied schmerzt dann auch nicht mehr so sehr.
    Manchmal ist es ja so einfach zu helfen.

    Der Humor verblasst ….

    Ich muß nochmal auf das APO zurückkommen.
    Es scheint wirklich toll zu sein, eine Wucht.
    Aber wie verhält es sich im Bereich 30 – 70 cm?
    Wie ist die optische Leistung/Bokeh?
    Ist die normale Naheinstellgrenze für dich oft ein Problem, oder wäre es nur Draufgabe?
    Wie du bereits erwähnt hast, da braucht es noch einige Erfahrungsberichte um all das zu klären.
    Ich gehe davon aus, daß es auch in diesem Bereich überzeugen wird, aber das muß sich erst zeigen.
    Kannst/willst du solange warten?
    Wäre mein Vorschlag nicht ein vernünftiger, fast weise?

    Antworten
    1. lichtknoten Artikelautor

      Hallo Rob,
      danke für diesen Kommentar. Ja, beim APO brauche ich wirklich noch mehr Bilder und Erfahrungen. Ich nehme mal an, dass auch der Bereich zwischen 30 und 70 cm hervorragend ist. Die Frage ist aber, wie dieser Bereich mit dem sehr umfangreichen Schneckengang des Fokus in der Praxis funktioniert. Auch ist dieser Bereich ja nur über Live-View verwendbar. Funktioniert das für mich in der Praxis? Ich liebe die M, weil sie so unkompliziert und einfach ist – ohne Schnickschnack! Eine Entscheidung für oder gegen das APO kann also erst in ein paar Jahren fallen (denke ich mal). Und bis dahin wird mir mein Summicron noch gute Dienste leisten.
      Alex

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert