Photokulturgespräch – Teil 1

Heute gibt es mal etwas ganz Besonderes und wie ich denke auch etwas sehr Unterhaltsames. Ich gebe zu – sehr viel Text, was euch erwartet, aber gebt den Buchstaben eine Chance!

Das Nachfolgende stellt ein typisches Stammtischgespräch dar – ok, ich denke, nur wenige Leute sprechen am Stimmtisch so, aber egal. Nicht alles, was nachfolgend aufgeführt ist, soll man ernst nehmen, und vor allem soll man die zwei Kommunizierenden (Herrn Verlängerter und Herrn Einspänner) nicht so ernst nehmen, wie sie daher reden! Das Gespräch hat übrigens im Kaffee zum Alten Kapuziner (das Cyber-Kaffeehaus mit Tradition!) stattgefunden.

Aber was hat das alles nun in meinem Blog zu suchen? Nun, im Gespräch geht es vor allem um Fotografie – ein Gespräch zweier Besessener über ein Thema für Besessene! Einige werden sich darin wiederfinden, wieder andere werden dabei wohl nur den Kopf schütteln. Dieser Erguss von Weisheit soll der Menschheit jedenfalls nicht vorenthalten und hiermit veröffentlicht werden!

Im Übrigen ist das folgende Gespräch nur der erste Teil einer Serie… wem der Wahnsinn also zu viel ist, soll bitte gleich damit aufhören, weiter zu lesen, denn die Fortsetzung folgt garantiert! Im Abstand von 2 Tagen werden alle 3 Teile veröffentlicht.

Präludium

Eine Stadt im Herzen Europas, Anfang April 2011, 14.03 Uhr. Es ist nass, der Himmel fast grau. Ein kleiner Herr betritt ein Kaffeehaus. Auf dem kerzenbeleuchteten Schild steht: Alter Kapuziner. Ein kleines Schild hängt an der Eingangstür, auf diesem steht:
WLAN zur Zeit ausgefallen, bitte bringen Sie Ihr eigenes Kabel mit!
Ihr Kapuziner

Geduldig wartet der kleiner Herr, bis der Weg vor ihm frei ist. Schnell findet er einen freien Tisch, lehnt sein Berlebach 3032 Nussbaum gegen die Wand und bestellt einen Fiaker (Mokka mit einem kleinen Rum).

Wenig später arbeitet sich ein schlaksiger Mann geschickt durch die Menge und steuert auf den kleinen Mann zu. Lächelnd begrüßt er ihn, öffnet seine Jacke und legt sein Gitzo GT1542T auf den Tisch. Er wirft einen Blick auf das Berlebach und sein Grinsen wird breiter.

Der Mann bestellt einen Obermayer (Doppelter Mokka, auf den sehr kaltes, flüssiges Obers mittels eines umgedrehten Kaffeelöffels aufgesetzt wird). Schnell verstaut er sein GT1542T in seinem Rucksack und holt seinen Notebook heraus. Der kleine Mann hat inzwischen sein mitgebrachtes LAN-Kabel aus seiner Dinky Di geholt und schließt es mit aller Ruhe am anderen Ende des Raumes an. Schließlich verbindet er das Kabel mit dem Notebook. Sein schlaksiger Freund nickt dankend und sagt: „Wir sind drin!“

Der kleine Mann meint dazu: „Lass unseren Tschat beginnen – wer sagt denn, dass man zwei verschiedene Computer an zwei verschiedenen Orten braucht, um zu tschatten?“

Der Tschat – Teil Eins

Verlängerter: Wo sollen wir anfangen? Bei der Entstehung der Fotografie, beim Einzug der digitalen Technik oder doch beim Beginn der Menschheit?

Einspänner: Was für eine Frage – bei der Sprache natürlich!
Zuerst stellen wir mal klar, dass das böse F-Wort nicht benutzt wird. Wir sagen stattdessen Vollformat. Wir sprechen auch nicht von Linsen, wenn wir Objektive meinen.
Weiters werden folgende Abkürzungen, da sie primär der besseren Lesbarkeit dienen, als bekannt vorausgesetzt: CCD, CMOS, KB, OK, HD, HDR, DX, FPS, MP, AF, LCD, DSLR, SLR, USB, MF, DX, FX, HDMI, GPS, AV, SD, CF, RGB, JPEG, JPG, RAW, AF-S, AE, SWM, G12, EF, EF-S, USM, B&W, ED, DO, m4/3, MATLAB (hat zwar nichts mit Fotografie zu tun, aber mir gefällt das Wort so gut). Nun können wir beginnen. Und wo?
Beim modernen Film, ich meine natürlich beim Digitalfilm. Also gut, bei CCD und CMOS.
Denn da begann die Zeit der Rot-, Grün- und Blaufilter über einer Matrix aus Photodioden. Zuvor gab es nur Film, und unsere Welt war klein und überschaubar.
Doch mit Aufkommen von digitalen Sensoren sahen wir nur noch Pixel, keine Bilder mehr. Und das war gut so. Größere Sensoren, größere Pixel, mehr Photonen, mehr Licht, höhere Qualität.

…MATLAB (hat zwar nichts mit Fotografie zu tun, aber mir gefällt das Wort so gut)… [Einspänner]  

Verlängerter: Na servas, du legst aber los heute! Bei den ganzen Abkürzungen kommen unsere Zuhörer/Leser ja schon bei den ersten Zeilen aus dem Tritt.
Anmerkung am Rande: Mir gefällt FPS am besten – hat so was aus analogen Zeiten an sich. Aber ich will nicht abschweifen… wo waren wir?

Einspänner: Bei CCD, CMOS und Megapixeln natürlich. Willst du größtmögliche Details? Deine Objektive ins Schwitzen bringen, dass sie zeigen können, wieso sie aus teurem Verbundglas und noch teureren Beschichtungen bestehen? Willst du dich beim „Croppen“ nicht einschränken? Willst du einfach das Beste? Dann ist 20+ deine Zahl.
Monitore werden größer, Bandbreiten schneller, und die Zukunft der Photographie liegt sowieso in der Betrachtung online. Man darf auch nicht vergessen, dass Ansel Adams die beste Ausrüstung seiner Zeit benutzt hat. Zugegeben, eine schwere Ausrüstung, aber es war damals noch eine andere Zeit. Die Leute haben so etwas gerne getragen und vor allem konnten sie es noch tragen.

Verlängerter: Ja, aber wenn die Zukunft im Betrachten am Bildschirm liegt, braucht doch keines meiner Bilder mehr als 3-4 Mega-Pixel haben. Und kein normaler Mensch bläst sich seine Bilder auf eine Wand von 4m auf, oder? Also ich denke, wenn der Mensch nicht generell von einem Größenwahnsinn getrieben wäre, hätte das Mega-Pixel-Argument beim Käufer schon lange kein Gewicht mehr. Aber es stimmt, Ausschnitte gestalten kann man mit einer 20+ Kamera natürlich besser, als mit einer 4 MP Kamera. Aber was soll den Firmen sonst als Verkaufsargument helfen? Etwa, dass die Kamera jetzt 120 anstatt nur 100 Stunden ohne Batterieaufladen auskommt? Ich denke, das interessiert keine S**.

…und kein normaler Mensch bläst sich seine Bilder auf eine Wand von 4m auf, oder? [Verlängerter]

Einspänner: Ja, sicher nicht die Pixel zählen, sondern das Bild! Ein stark überbewerteter Satz, wenn du mich fragst. Er stimmt natürlich, aber die Pixel machen das Bild.
Also, wie viele Pixel braucht ein Bild? Ich denke, wir beide wissen, wer heute mit den am Markt befindlichen Kameras keine brauchbaren Bilder, keine brauchbaren gedruckten Bilder produzieren kann, hat ein Problem. Und das liegt nicht im Gehäuse vor seinen Augen. Vielleicht am Stativ? Oder der Software?  Oder am wichtigsten Teil überhaupt, dem Objektiv. Oder aber man kennt seine Kamera gar nicht so gut wie man sollte.
Mein selbst entwickelter Blindtest sollte da eigentlich helfen können. Man nehme die Kamera eines Freundes, ändere die Sprache auf Chinesisch (traditionell), und er muss sie wieder auf seine Landessprache zurückstellen, natürlich mit verbundenen Augen. Der Freund darf natürlich Chinesisch beherrschen, es wird ihm nichts nützen.

Aber zurück zum Thema! Diese riesige, zugegeben nicht unbedingt notwendige Anzahl an Pixel lässt einen träumen. Durchaus auch von 4m Bildern! Es ist dieser kleine Teufel, der auf deiner Schulter sitzt und flüstert: „Es ist nicht notwendig, aber du könntest, wenn du wolltest.“ Und es geht nicht nur um Bildgröße – es geht um die kleinen Dinge im Bild.
Ja, genau die, die man jetzt erkennen kann. Im Gegensatz zu früher. Um komm‘ mir jetzt nicht mit „stitching“!

Verlängerter: Lach! Es kommt also doch auf die Größe an!

Einspänner: Schrieb nicht einst Stan Lee: „Mit Größe kommt große Verantwortung“?
Man sollte diesen Satz – wie soll ich sagen – äh, erweitern mit: … und mehr Möglichkeiten.
Man beschneidet sich doch nicht selbst!

Man beschneidet sich doch nicht selbst! [Einspänner]

Verlängerter: Ja, aber manchmal liegt gerade in der Beschränkung die Quelle der Kreativität. Geh mal mit einer Festbrennweite anstatt mit einem Zoom-Objektiv los, und du wirst sehen, wie es dich beflügelt.

Einspänner: Beflügelt? Oh ja, der Zoom mit deinen Beinen – Quatsch! Wir sind in einem Zeitalter angelangt, wo Zooms sich nicht mehr vor Festbrennweiten zu verstecken brauchen! Einige Zooms sind sogar besser!
Das einzige, das mich daran hindert, nur hochwertige Zooms zu besitzen, ist…
Na ja, wie soll ich sagen. Na ja, ist ihr Preis. Aber sonst könnte mich nichts davon abhalten. Stell mal einen Zoom auf eine Brennweite ein und dann Finger weg!
Das beflügelt! Aber ich sehe schon, hier stoßen zwei Philosophien aufeinander.
Guck mal, ich kann auf 1.4 und du? Quatsch trifft auf 5.6, na und? Da sage ich nur: „5.6 beflügelt meine Kreativität!“

Verlängerter: Also, ich bin davon überzeugt, dass dich die Einschränkung beflügelt, weil du einfach ein wenig mehr nachdenken musst beim Fotografieren – quasi deinen Arsch bewegen, im wahrsten Sinne des Wortes! Aber ja, da prallen wirklich unterschiedliche Philosophien aufeinander! Aber wie steht es nun mit den aktuellen Entwicklungen bei den Kameras? Macht das Ganze noch einen Sinn, was hier abgeht? Mehr Mega-Pixel, mehr FPS, schnellerer Fokus, etc. Wer braucht das alles? Ist es nur die Lust daran, immer das Maximum in den Händen zu haben? Das Beste ist gerade gut genug!?

Das Beste ist gerade gut genug!? [Verlängerter]

Einspänner: Ich verstehe… kein neues Gehäuse, sondern neues Wissen!
Guter Ansatz, mein Freund, guter Ansatz. Na, viele sind da wohl noch nicht drauf‘ gekommen, was? Bei den Verkaufszahlen schwer zu glauben. Also das KB-Format braucht sicher nicht noch mehr Pixel – technisch möglich, aber der Mehraufwand lohnt sich nicht. 21 bis 28 MP mehr sollte man sich da nicht antun. Die Objektive, die das bei größter Blende noch zufriedenstellend auflösen können, werden immer weniger und auch nicht günstiger. Viel mehr Potential sehe ich im Buffer. 10 FPS sind gut, aber wie lange liefert die Kamera diese? Genau, Buffer! Verkleinerung wäre das nächste, das muss gar nicht so viel sein. Ein paar Zentimeter reichen schon, schließlich muss das Ganze noch ausbalanciert sein. Autofokus ist definitiv ausbaufähig! Ein Schlüssel dazu ist sicher der Motor, die Prozessoren, die die Arbeit machen. Schon mal manuell bei einer Hochzeit geshootet? Nein? Es muss kein Sportereignis sein, um zu sehen, dass es manuell eine Qual ist. Klar geht es, aber man verliert so viele Möglichkeiten, so viele Bilder. Es geht nicht um das Maximum, es geht um Minimum an Verlust. Und du darfst nicht die Bildformate vergessen. Wieviel lässt sich da noch herausholen?
Man muss die Japaner lieben. Sie sind genial. Zuerst geben sie uns Restaurants, in denen fast alles roh serviert wird – jetzt geben sie uns Kameras, die das Gleiche machen: rohe Daten – RAW’s!

Verlängerter: Derzeit haben die guten Japaner sicher andere Probleme, aber soll mal ausgeklammert werden. Also vom Buffer halte ich nicht viel… zu wenige Menschen brauchen mehr als 20-30 Bilder in Folge. Autofokus? Nun ja, ist ein  Thema, da reicht aber das Meiste, was wir am Markt haben, schon aus – außer sie schaffen es, die AF-Felder über das ganze Gesichtsfeld zu verteilen und nicht nur in der Mitte zu konzentrieren. Und ja, Prozessierung ist ein Thema… immer! Ich persönlich denke ja, dass die Zukunft der Spiegelreflexkameras in größeren Sensoren liegt. Die Einsteigerkameras werden Vollformat werden und die Profi-Modelle werden Richtung Mittelformat wandern. Ich trau mich fast zu wetten, dass wir bis 2012 etwas in diese Richtung sehen werden. 

Einspänner: Das wäre logisch! Wird es aber wegen der Kosten nicht spielen.
Ein MF-System würde auch die Neukonstruktion sehr vieler Objektive erfordern.
Die haben ja jetzt schon Probleme, die Nachfrage zu erfüllen. Vollformat kostet viel, MF zu viel! MF-Systeme werden meistens nur verliehen, weil sie sich die wenigsten leisten können. Vergiss den Hersteller mit dem grünen Ring nicht, ja genau der!
Die haben einen sehr guten digitalen MF-Einstieg hingelegt, und die haben die Objektive schon. Zwar nur alte, aber die haben einen ausgezeichneten Ruf. Der, der sich jetzt traut, etwas Neues zu machen, wird die Nase weit vorne haben. Und ehrlich gesagt, glaube ich, dass sich das Precision Optical Instruments Labratory da eher mehr traut, als Nippon Kogaku K.K. oder gar Asahi Kogaku. Schon rein traditionell. Ich denke ja, die Jungs vom Labratory bringen den ersten Wahnsinns-Electronic-Viewfinder, den die Profis auch haben wollen. Ja richtig, Spiegel ade!

Ja richtig, Spiegel ade! [Einspänner]

Verlängerter: Ach nein….der Spiegel wird so schnell nicht wegfallen… obwohl – Sonī Kabushiki-Gaisha zeigt uns jetzt ja, dass es auch mit einem halb-durchlässigen Spiegel ganz gut funktioniert. Ein System, das übrigens in der EOS RT (1989) Einzug fand, dann aber nicht weiter verfolgt wurde.

So, Kaffee ist leer… ich denke, wir nehmen noch eine Runde, oder? Für mich wieder einen kleinen Braunen (und bitte wieder einen unpolitischen!). Und du?

Einspänner: Einen großen Schwarzen, bitte!

TEIL 2 folgt am 14. April 2011!


Über die Autoren:

Herr Verlängerter: Zweifelsohne ein Besessener. Alles, was er macht, macht er mit voller Begeisterung, Einsatz, Überzeugung und rationalen Schlussfolgerungen. Begeistert, aber nicht blind vor Begeisterung. Ein leichter Hang zum Morbiden wird ihm nachgesagt. Mit seinen Äußerungen betritt er oft den schmalen Grat zwischen Akzeptiertem und Verrücktem (oder gar Revolutionärem). Provokation in Wort und Bild gehören bei ihm einfach dazu. Statement: „Das Leben ist schön, wenn man es nur endlich mal genießen könnte!“
Herr Einspänner: Ein Zweifler, nicht an sich selbst, nein. Er zweifelt an den Anderen. Bei ihm stirbt der Zynismus zuletzt. Er ist die Postleitzahl des Dubiosen. Sein Halbwissen ist gefährlich, weil er denkt, es befreit ihn, vor allem von Wissen. Er ist jemand, der glaubt, aus dem Nichts kann man mit einer Eins alles erschaffen. Sehr widersprüchlich ist seine Gedankenwelt. Statement: „Wenn’s nicht kaputt ist, dann repariers nicht!“

Ein Gedanke zu „Photokulturgespräch – Teil 1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert