Das folgende Gespräch stellt den dritten Teil des Photokulturgesprächs dar. Ein Verweis auf die ersten beiden Teile (für diejenigen, die sie nicht mehr finden können!) findet sich am Ende des Beitrages.
Präludium
18:12 Uhr, das Essen steht auf dem Tisch, das Bier ist schon halb ausgetrunken und die beiden Experten kommen immer besser in Fahrt. Wo wird uns der krönende Abschluss hinführen? Zurück zur analogen Fotografie oder doch in eine Zukunft mit dreidimensionalen Voxeln.
Der Tschat – Dritter Teil
Verlängerter: Und schmeckt es? Also, ich muss sagen, der Gaul schmeckt vorzüglich. Einfach genial. Das Leben braucht einfach auch mal was Rustikales. In gewisser Art und Weise ist das Fiaker Gulasch wie der gute alte Newton – auf den ersten Blick vulgär und einfach nur provokativ, auf den zweiten Blick sehr komplex und mit sehr viel Tiefgang, und auf den dritten Blick einfach unvergleichlich. Immer wieder wird der Versuch unternommen, sie zu kopieren, aber niemand schafft es, diese Bandbreite hin zu bekommen.
Einspänner: Also, zuerst einmal: es schmeckt.
Isaac Newton? Ich sagte doch schon, heute ist Witz mein erster Vorname.
Darüber weiß ich nicht viel. Erzähl mal, was macht ihn denn so einzigartig?
Gib mir einen Schnellkurs.
Verlängerter: Newton? Na ja, weißt eh… englischer Naturforscher – Lach! Aber im Ernst… Helmut Newton, was ihn besonders macht. Wahrscheinlich seine spezielle Art, die Dinge zu sehen. Hartes Schwarz-Weiß gepaart immer mit sehr provokanten Themen. Starke Frauen, die sehr dominant wirken und meist als „männerfressende“ Individuen darstellt werden. Vom Fotografischen war er der Meister des natürlichen Lichtes. Er arbeitete fast immer On-Location und fast immer ohne künstliche Lichtquelle. Da kam höchstens ein Reflektor zum Einsatz. Damit schaffte er es aber trotzdem, die wichtigsten Partien in Gesicht und am Körper herauszuarbeiten. Für mich schier unglaublich. Wenn man sich Videos von seinen Shootings ansiehst, so stellt man fest, dass er die meisten Szenen mit 3-4 Bildern abgelichtet hat, und das war’s. Er hatte einfach alles im Kopf und wusste genau, wie das nachher in der Ausarbeitung auszusehen hatte. Und hier sprechen wir noch nicht von digitaler Technik, sondern von analog. Heute wird am Monitor im Studio kontrolliert, Licht justiert, und nachgebessert, bis alles passt. Der Charme und der Zauber der alten Meister, wie eben Newton, ist irgendwie weg.
Heute wird am Monitor kontrolliert, Licht justiert, und nachgebessert, bis alles passt. [Verlängerter]
Einspänner: Ich beginne, die Faszination um Newton nun besser zu verstehen.
Aber so ein Talent kommt ja nicht oft vor. Was gibt es denn für Leute, die vor allem dadurch aufgefallen sind, dass sie gute oder neue Ideen hatten? Egal, ob technischer oder künstlerischer Natur.
Verlängerter: Also, ich würde folgende Fotografen als herausragend herausstreichen: Henrie Cartier-Bresson, Helmut Newton, Oliviero Toscani, Andreas Bitesnich und Howard Schatz. Na ja, und dann gibt es natürlich noch sehr viele andere sehr gute… aber diese sind im Wesentlichen jene, die mir auf die Schnelle einfallen. Einige durfte ich schon in Ausstellungen bewundern. Wunderbare Künstler.
Einspänner: Darf ich etwas gemein sein und raten? Keiner von ihnen ist ein Natur- oder Landschaftsfotograf, oder? Ja, hin und wieder ein Landschaftsbild, aber nicht primär, stimmt’s? War gemein, ich weiß, hatten wir auch eigentlich schon geklärt. Also alle, wirklich alle Magnum Fotografen sind sehr, sehr gut. Auch die Fotografen bei VII sind ausgezeichnet, besonders die sieben Gründungsmitglieder. Dann hat die New York Times sehr gute Leute. Noch etwas Erwähnenswertes?
Verlängerter: Nein, das stimmt so nicht. Henrie Cartier-Bresson ist ein Straßenfotograf, also eine spezielle Form der Landschaftsfotografie. Grins! Andreas Bitesnich ist zwar durch seine Studiobilder bekannt geworden, macht aber ausgezeichnete Landschaftsbilder und hat sogar einen Bildband darüber rausgebracht. Aber ich gebe dir recht – nicht typische Landschaftsfotografen! Aber das liegt daran, dass ich vor allem diese Art von Fotografie spannend finde und verfolge. So hat halt jeder seine Vorlieben.
Einspänner: Ich spüre, du stellst bald die Frage, auf die ich schon lange warte.
Landschafts- und Naturfotografen – wen sollte man sich da mal ansehen?
Ich spüre, du stellst bald die Frage, auf die ich schon lange warte. [Einspänner]
Verlängerter: Habe da mal eine Frage: Landschafts- und Naturfotografen – wen sollte man sich da mal ansehen? Grins!
Einspänner: Ich bin überrascht! Die Frage kommt so unerwartet. In diesem Bereich der Fotografie gibt es so viele gute, vor allem unbekannte Künstler, dass ich nur ein paar erwähnen kann, deren Arbeit mich begeistert. Ansel Adams, Patrick Di Fruscia, Manuel Presti, Ian Plant und natürlich mein Lieblingsfotograf, der eine Fotografin ist: Varina Patel. Beim Studium ihrer Bilder kann jeder Fotograf etwas lernen, egal welchem Teilbereich der Fotografie er sich momentan gerade widmet. Was mich zur Frage bringt: „Auf welche Art und Weise sollten wir uns das Wissen von solchen – ich nenne sie mal Meister – aneignen? Seminare, Bücher oder gar nur online?“
Verlängerter: Also, bis auf Patrick Di Fruscia schätze ich alle sehr. Aber er bearbeitet mir die Bilder einfach zu stark. Da fehlt mir das Authentische einer Landschaftsaufnahme. Bezüglich des Studiums solcher Fotografen finde ich das Besuchen von Ausstellungen extrem wichtig. So kann man die Bilder mal so betrachten, wie sie der Künstler sieht – auch von der Präsentationsform her. Und zum anderen kann man die Menschen so auch finanziell unterstützen. Zudem sollte man sich natürlich einen kleinen Bestand an Fotobüchern zulegen. So kann man einzelne Werke und Künstler intensiver unterstützen. Und dann gibt es da noch das Internet und die diversen Foren. Das Internet hat aber den Nachteil, dass es eine unüberschaubare Anzahl von Bildern vor die Füße wirft und das Differenzieren sehr viel schwerer fällt. Zudem ist die Präsantationsform den Bildern nicht immer zuträglich.
Einspänner: Da muss ich Di Fruscia verteidigen! Seine letzten Arbeiten sind schon deutlich realistischer, aber natürlich noch sehr unrealistisch. Sieht man selten in der Landschaftsfotografie, dass jemand seine Vision so konsequent durchzieht.
Ha! Ausstellungen! Viel zu überbewertet, da kommen wir wieder in diesen Kunstwahnsinn rein. Da treiben sich doch meistens Leute herum, die an Sektgläsern nuggeln und viel zu große Bilder an viel zu kleinen Wänden betrachten. Die beste Art, etwas zu lernen, sind Kurse. Sieh den Meistern bei ihrer Arbeit zu. Eine kleine Gruppe von einem Dutzend Leuten wird von einer Legende durch ein Areal geführt. Dieses hat er selbstverständlich selbst ausgewählt und schon öfters besucht, so sind gute Motive vorhanden. Natürlich hat der Workshopleiter auch die Jahreszeit und die Witze, die er zwischendurch einstreut, sorgfältig geplant. Man stelle sich vor, man kann bei so einem Seminar z.B. Art Wolfe auf die Schulter klopfen und sagen:„Lame composition Art and maybe you should change your aperture too?“ Natürlich erntet man durch so einen laut geäußerten Gedanken böse Blicke der Kollegen, wird für den Rest des Workshops vom Leiter geflissentlich ignoriert, aber das Selbstbewusstsein der Fotografie erhält einen gewaltigen Schub. Es wird dann wieder schnell zusammenbrechen und meistens kann man sich mit einem Witz da wieder herauswinden, so lernt man auch noch was für Leben: „Lästere nur über andere, wenn sie nicht anwesend sind.“ Es gibt da natürlich noch eine andere Form, um sich zu verbessern. Ich nenne es „gedankliche Bilderanalyse guter und böser Bilder“, also GBGBB. Es funktioniert ganz einfach. Man nimmt ein Bild, das man für gut hält, und ein Bild, das man für schlecht hält. Nun hält man fest, wieso funktioniert das eine Bild für mich und das andere eben nicht. Wieso ist das eine gut, das andere nicht? Das gedanklich auszuführen bedarf höchster Konzentration und sollte von Anfängern keinesfalls ausprobiert werden, denn meistens endet dieser Kraftaufwand von fotografischer Energie im Gehirn damit, dass man letztendlich beide Bilder für mies hält. Also am Besten bei den Bildern immer nur eine Sache vergleichen, wie z.B. Komposition, und sich dann langsam steigern. Nur Mut!
Ja, aus Büchern kann man auch viel lernen. Das stimmt schon. Durch mehrmaliges Studieren dieser nimmt man viel mit. Ja, ja, klar. Bücher sind toll! Bilder im Netz eignen sich besonders für GBGBB, nicht vergessen!
Das gedanklich auszuführen bedarf höchster Konzentration und sollte von Anfängern keinesfalls ausprobiert werden… [Einspänner]
Verlängerter: Also, das mit den Ausstellungen kann man so nicht sagen. Ich denke, du hast recht, was eine Vernissage angeht. Da tummeln sich fast nur Leute, die eben kommen, um gesehen zu werden. Während des normalen Ausstellungszeitraums sind aber meist sehr interessierte Leute vor Ort, und gerade bei kleineren Ausstellungen ist es oft möglich, mit dem Künstler direkt zu sprechen und mit ihm Kontakt aufzunehmen. Eine Erfahrung, die man nicht missen sollte. Ich denke, es ist enorm wichtig, seinen Hintern in verschiedenste Ausstellungen zu bewegen – und gerade Gruppenausstellungen bieten auch die Möglichkeit, völlig neue Künstler kennen zu lernen. In fast jeder größeren Stadt gibt es sehr gute Galerien, die oft bei freiem Eintritt die Möglichkeit bieten, einfach locker durch die Galerie zu spazieren. Wien ist dabei sicher herausragend – die Innenstadt boomt ja nur so von kleinen Galerien. Und da gibt es da noch das herausragende Westlicht, das weltweit mittlerweile einen ausgezeichneten Ruf genießt und in den letzten Jahren ausgezeichnete Ausstellungen beherbergte. Die Teilnahme an Workshops bringt natürlich auch sehr viel, hängt aber sehr vom Workshopleiter ab. Die meisten guten Fotografen sind leider keine guten Lehrer. Ich denke, da kann man sich einen besseren Input holen, wenn man sich einer Gruppe anschließt und einfach in der Gruppe fotografiert. Von den anderen kann man dann auch sehr viel lernen und abschauen. Überhaupt finde ich das Arbeiten und den Austausch in der Gruppe extrem wichtig. Ich denke, es könnte auch sehr spannend sein, seine Bilder gemeinsam zu besprechen oder aber die Bilder anderer zu besprechen. Man sieht also, es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, besser zu werden – man muss nur den Hintern hoch bekommen und etwas ausprobieren.
Einspänner: Na ja, gut. Das mit den Ausstellungen ist nachvollziehbar, überzeugt.
Aber das mit der Gruppe? Das funktioniert nur für wenige. Eine Gruppe ohne Alpha-Fotografen, der sagt, wo es langgeht? Es könnte spannend sein, die Bilder zu besprechen? Wie denn? Etwa demokratisch? So etwas geht nur, wenn man respektvoll mit der Arbeit seiner Gruppenmitglieder umgeht, also praktisch unmöglich. Umarme die Arbeit deines fotografischen Freundes, sodass dieser darin wachse. Oh Tschisas, bitte verschone mich mit diesem Gesülze! Bringe dich selbst auf ein gewisses Niveau, und wenn du glaubst, handwerklich gute Bilder zu machen, dann erst stürze dich in eine Gruppe. Und die Typen in der Gruppe sollten auf jeden Fall dein Niveau nicht überschreiten, vielleicht sogar deutlich schwächer sein. Dann ist man Mitglied einer Gruppe und Workshopleiter in einer Person. So sieht das doch meistens aus. Na ja, wem’s gefällt. Jeder kann das nicht.
Verlängerter: Na, da werden unsere unterschiedlichen Positionen wieder sichtbar. Ich denke, in der Gruppe lernt man nur, wenn man schwächer als die anderen ist. In der Gruppe der stärkste zu sein, bringt wenig. Da kann man nur den anderen helfen, aber nicht sich selbst. Ist zwar auch ein wichtiger Beitrag, aber eben nicht, um zu lernen. Ich denke, der Prozentsatz von Dingen, die man lernt, ist einfach zu gering. Und wenn man als Alpha-Tier in der Gruppe arbeitet, sollte man das auch ganz klar so auslegen – dann gleich der Lehrer sein, der halt auch noch was dazu lernt. Was bist du: Lehrer oder Lernender?
Einspänner: Ich lehre den Lehrenden die Furcht. So gesehen bin ich Lernender. Grins!
Wieder mal ein kleiner Scherz. Du machst es einem aber auch zu leicht. Es wird wieder Zeit, unsere Speicherkarten zu füttern. Für die Leute da draußen sollen schließlich noch ein paar Mysterien der Fotografie übrig bleiben, damit sie diese selbst lösen können.
Verlängerter: Ich denke, das ist ein schöner Schlusssatz. Ich denke, man sollte generell einfach weniger über Technik reden, sondern mehr Fotografieren. Aber das Diskutieren über Bilder sollten wir wohl einmal aufgreifen – ich denke, das könnte spannend werden.
Herr Ober! Zahlen bitte!
Die zwei Männer bezahlen. Geben Trinkgeld. Der Laptop wird in den Rucksack geräumt. Das Kabel zusammengelegt und im Dinky Di verstaut. Die Männer sehen sich an und geben sich die Hand. Der eine sagt: „Licht ist Wissen.“ Der andere antwortet: „Licht ist Leben.“ Sie einigen sich auf: „Licht ist Licht.“ Mit einem Grinsen beenden sie die Zeremonie. Einige Augenblicke später sind sie im Freien. Der leichte Regen stimmt die beiden mild. Ein letzter Gruß, ein leichtes Nicken. Die kleine Gestalt betritt eine dunkle Seitengasse, sein Berlebach fest umschlossen. Sein schlakiges Gegenstück geht die nicht wirklich viel hellere Hauptstraße entlang. Immer dem Licht entgegen… Immer dem Licht entgegen… Immer dem…
Über die Autoren:
Herr Verlängerter: Zweifelsohne ein Besessener. Alles, was er macht, macht er mit voller Begeisterung, Einsatz, Überzeugung und rationalen Schlussfolgerungen. Begeistert, aber nicht blind vor Begeisterung. Ein leichter Hang zum Morbiden wird ihm nachgesagt. Mit seinen Äußerungen betritt er oft den schmalen Grat zwischen Akzeptiertem und Verrücktem (oder gar Revolutionärem). Provokation in Wort und Bild gehören bei ihm einfach dazu. Statement: „Das Leben ist schön, wenn man es nur endlich mal genießen könnte!“
Herr Einspänner: Ein Zweifler, nicht an sich selbst, nein. Er zweifelt an den Anderen. Bei ihm stirbt der Zynismus zuletzt. Er ist die Postleitzahl des Dubiosen. Sein Halbwissen ist gefährlich, weil er denkt, es befreit ihn, vor allem von Wissen. Er ist jemand, der glaubt, aus dem Nichts kann man mit einer Eins alles erschaffen. Sehr widersprüchlich ist seine Gedankenwelt. Statement: „Wenn’s nicht kaputt ist, dann repariers nicht!“
Schoener Blog, gefaellt mir super. Auch schoene Themen.